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Auf der Suche nach dem Saatgut für die Bäume der Zukunft

MyGardenOfTrees testet Samen unterschiedlicher Herkünfte. Das Forschungsprojekt lädt Forstleute aus ganz Europa zur Teilnahme an diesem Gross-Experiment ein. Das Instrument hilft bei der Auswahl der optimalen Provenienzen für klimaresistente Wälder.

Von Mirjam Kurz, Nicole Ponta und Katalin Csilléry * | Das Testen der Wuchsleistung von Baumarten und das Einbringen von neuen Baumarten hat im europäischen Waldbau eine lange Tradition. Seit Jahrhunderten wird nach Arten gesucht, die an einem bestimmten Standort eine bessere Wuchsleistung zeigen. Nebst der Auswahl standortgerechter Baumarten ist auch die Wahl der optimalen Herkunft innerhalb einer Art zentral, da Bäume derselben Art in verschiedenen Umgebungen sehr unterschiedlich aussehen können. Zum Beispiel sind Pflanzen in hohen Lagen oft kleiner als in niedrigen Lagen. Inwieweit diese Unterschiede genetisch bedingt sind oder auf die Umwelt zurückzuführen sind, interessiert die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit. Um diese Frage zu beantworten, begannen Förster bereits vor über 200 Jahren sogenannte Herkunftsversuche durchzuführen (siehe Box). 

Über lange Zeit stand bei Herkunftsversuchen in der Forstwirtschaft allerdings besonders die Suche nach Herkünften, die einen hohen Holzertrag liefern, im Fokus. Das ist nicht verwunderlich, da wirtschaftlicher Gewinn jahrhundertelang der einzige Wert war, der Wäldern beigemessen wurde. Mit den immer deutlicher werdenden Auswirkungen des Klimawandels werden Wälder aber heute nicht mehr nur als Holzlieferanten betrachtet. Stattdessen verlagert sich der Schwerpunkt auf die zahlreichen anderen Ökosystemleistungen, die Wälder bieten, beispielsweise das Speichern von Kohlenstoff, das Reinigen der Luft, das Filtern unseres Trinkwassers oder Schutz der biologischen Vielfalt durch Bieten von Lebensraum für viele Arten, und die Möglichkeit für Erholung. Die Forstwirtschaft von heute braucht also Wälder, die all diese Leistungen erbringen können. Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, muss die Planung von Herkunftsversuchen neu überdacht werden.

Was will das Forschungsprojekt?

MyGardenOfTrees, ein von der Europäischen Kommission unterstütztes wissenschaftliches Projekt an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), will die Lücken von traditionellen Herkunftsversuchen durch den Aufbau eines Netzwerks von neuartigen Herkunftsversuchen schliessen. Projektleiterin Katalin Csilléry hat eine Vision: Sie will mithilfe von freiwilligen Förstern und Försterinnen Hunderte von kleinen Versuchen in ganz Europa anlegen, sogenannte Mikrogärten. Das Experiment kann somit als «verteilter Herkunftsversuch» betrachtet werden. In den Mikrogärten werden Samen aus ganz Europa direkt in den Waldboden gesät. Während der fünfjährigen Versuchsdauer sollen Keimung, Überleben, Phänologie und Wachstum der Sämlinge von freiwilligen Förstern und Försterinnen überwacht werden. Aufgrund der von Teilnehmern übermittelten Beobachtungen und vom Team von Katalin Csilléry generierten genomischen Daten wird schliesslich ein 
Prognoseinstrument entwickelt. Das Tool wird Forstleute warnen, wenn die vorhandene Herkunft durch den künftigen Klimawandel gefährdet ist und sie bei der Auswahl optimaler Saatgutquellen für ihren lokalen 
Wald unterstützen. 

Für diesen sehr gross angelegten Versuch wird sich das Projekt auf nur zwei Artenkomplexe konzentrieren: die Weißtanne (Abies alba) und ihre mediterranen und orientalischen Unter- und Schwesterarten sowie die Rotbuche (Fagus sylvatica), einschliesslich ihrer beiden Unterarten 
(ssp. sylvatica und ssp. Orientalis). Für einen Förster mag dies begrenzt erscheinen, aber das genetische Potenzial einer Art ist weitaus größer als das der Bäume, die innerhalb nur eines Landes wachsen.

Das Team von MyGardenOfTrees lädt alle Waldbesitzer und Waldbesitzerinnen ein, an Europas erstem «verteilten Herkunftsversuch» teilzunehmen und gemeinsam in Richtung klimaresistente Wälder in Europa zu arbeiten. Um teilzunehmen, muss lediglich eine geeignete Waldfläche ̶ Nadel- oder Laubwald identifiziert werden, die idealerweise von einem Wildschutzzaun umgeben ist, und es muss die Bereitschaft bestehen, fünf Jahre lang einen Mikrogarten zu bewirtschaften. Jeder Mikrogarten besteht nur aus vier Flächen von je 25 Quadratmetern, auf denen insgesamt 100 Setzlinge wachsen werden. 

Interessiert?

Während Sie diese Zeilen lesen, ist ein Team von Baumkletterern unterwegs, um in ganz Europa Samen von Buchen und Tannen für Sie zu sammeln. Am Ende des Jahres erhalten Sie Samen beider Arten aus einer Reihe von Herkunftsländern und speziell angefertigte Metallkäfige (Abbildung 1), um die Samen und Setzlinge vor Frass zu schützen. Während des Winters können Sie in dem von Ihnen ausgewählten Wald Ihren eigenen Mikrogarten anlegen, und im Frühjahr 2023 beginnen Sie mit den Auswertungen. Im ersten Jahr des Versuchs werden Sie die Keimungsrate der Samen sowie die Frühjahrsphänologie und das Wachstum aufzeichnen.

In den folgenden vier Jahren werden Sie im Frühjahr die Blattphänologie der überlebenden Sämlinge beobachten und im Herbst ihr Wachstum messen
(Abbildung 2). Der Arbeitsaufwand für die Überwachung des Mikrogartens wird auf etwa 30 Stunden pro Jahr geschätzt. Am höchsten ist der Arbeitsaufwand im Frühjahr (wöchentlich), während im Sommer nur monatliche Beobachtungen und ein voller Arbeitstag im Herbst nach dem Wachstumsstillstand erwartet werden. Um Ihre Beobachtungen zu notieren und mit uns zu teilen, verwenden Sie einfach Ihr Smartphone und eine speziell entwickelte mobile App oder ein Webformular, das Sie durch eine mühelose Datenerfassung führt. Ausführliche Anleitungen, einschliesslich Videos und eines genauen Zeitplans für den Arbeitsaufwand zu verschiedenen Zeiten des Jahres, finden Sie ebenfalls auf der Website. Nach fünf Jahren, im Herbst 2027, werden Sie gebeten, eine Probe jedes überlebenden Setzlings zur physiologischen und genetischen Analyse an das MyGardenOfTrees-Projekt zu schicken. Das Prognoseinstrument soll bis 2026 zur Verfügung stehen und wird sich dank der eingehenden Beobachtungen ständig verbessern.

Herkunftsversuche der nächsten Generation

Die Erstellung des neuartigen Prognose-
instruments ist nur dank des innovativen experimentellen Designs von MyGardenOfTrees möglich. Das Hauptdefizit von traditionellen Herkunftsversuchen besteht nämlich darin, dass Herkünfte nur unter wenigen, oft idealen, Bedingungen an einem Versuchsstandort bewertet werden. So wird jede Herkunft, oder jeder Satz von Genen, nur unter einigen wenigen Bedingungen getestet. Weiter kommt hinzu, dass die Versuchsstandorte oft auch geografisch unausgewogen sind. Obwohl die meisten europäischen Waldbaumarten in ganz Europa verbreitet sind, gibt es in der Forschung immer noch eine starke Ost-West-Barriere. Diese Versuche ermöglichen es daher nicht, das gesamte Potenzial einer Art auszuschöpfen und sind nur schwer für die Vorhersage der optimalen Auswahl an Herkünften an einem beliebigen Waldstandort geeignet.

Der «verteilte Herkunftsversuch» von MyGardenOfTrees ermöglicht nun das Testen des gesamten Genpools einer Art unter zahlreichen Umweltbedingungen. Dies ist wichtig, weil jede Herkunft einer Art einen anderen Satz an Genen besitzt. Je nach den Umweltbedingungen, denen diese Gene ausgesetzt sind, werden sie sich unterschiedlich ausprägen und verhalten: «Wir wollen das gesamte genetische Erbe der Art unabhängig von politischen Barrieren testen», erklärt Katalin Csilléry.

Eine weitere Besonderheit des Projektes ist es, dass die Samen nicht wie bisher in Pflanzschulen herangezogen werden. Stattdessen wird das Saatgut direkt in den unbearbeiteten Waldboden gesät. Dies ist die einzige Möglichkeit, etwas über die natürliche Verjüngung von Waldbäumen zu lernen. Wenn das Überleben von Wäldern auf dem Spiel steht, reicht es nicht, sich nur auf das Wachstum der bereits etablierten Bäume zu konzentrieren. Die Verjüngungsfähigkeit von Bäumen ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, da Bäume in den ersten Jahren die stärkste natürliche Selektion durchlaufen. Für den Erfolg des Projekts zählt jeder einzelne Mikrogarten, denn je mehr Mikrogärten angelegt werden, desto besser werden die Vorhersagen des Instruments. Projektleiterin Csilléry ist zuversichtlich: «Die Förster sorgen sich um die Zukunft ihrer Wälder und sind experimentierfreudig. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen können.»

*Mirjam Kurz, Nicole Ponta und Katalin Csilléry sind von der Biodiversität und Naturschutzbiologie Evolutionsgenetik an der WSL.

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